Nach dem Brand in Moria appellieren wir gemeinsam mit drei weiteren führenden Schweizer Kinderhilfswerken in einem offenen Brief, dass die Schweiz als gutes Vorbild für andere Staaten geflüchteten Kindern helfen soll und ihnen den Schutz zukommen lassen soll, der ihnen zusteht.

Nach der Zerstörung des Flüchtlingslagers Moria auf der griechischen Insel Lesbos durch Brände ist die Situation für Kinder und ihre Familien prekär. Viele leben auf der Strasse ohne Obdach und sind auf Unterstützung angewiesen. Wir appellieren an die Schweiz, dass sie ihre humanitäre Verantwortung wahrnimmt und sich für diese Kinder und Familien einsetzt.

Kinder und ihre Familien in Moria haben schon vor dem Feuer viel Traumatisches erlebt. Nun sind sie erneut verzweifelt und haben ihr Hab und Gut verloren – und das mitten in Europa. Wir müssen diesen Kindern jetzt eine Zukunftsperspektive ermöglichen und ihnen in einem geschützten Umfeld die Möglichkeit geben, sich vom Erlebten zu erholen.

Adrian Förster Geschäftsführer Save the Children Schweiz

Der Offene Brief im genauen Wortlaut

Sehr geehrte Frau Bundesrätin Karin Keller-Sutter

Nach dem Brand im griechischen Flüchtlingslager Moria auf Lesbos sind derzeit über 12’000 Menschen obdachlos. Rund 4’000 davon sind Minderjährige. Sie sind bereits von ihren Fluchterfahrungen und den unmenschlichen Zuständen im Lager traumatisiert und müssen nun einen erneuten Schock verarbeiten.

Wir – eine Koalition führender Schweizer Kinderhilfswerken bestehend aus SOS-Kinderdorf Schweiz, Save the Children Schweiz, Stiftung Kinderdorf Pestalozzi, World Vision Schweiz – appellieren an die Schweizer Regierung, alles in ihrer Macht stehende zu unternehmen, um diesen Kindern den Schutz und die Betreuung zukommen zu lassen, die ihnen gemäss der UNO-Kinderrechtskonvention auch zustehen.

«Kinder und ihre Familien in Moria haben schon vor dem Feuer viel Traumatisches erlebt. Nun sind sie erneut verzweifelt und haben ihr Hab und Gut verloren – und das mitten in Europa. Wir müssen diesen Kindern jetzt eine Zukunftsperspektive ermöglichen und ihnen in einem geschützten Umfeld die Möglichkeit geben, sich vom Erlebten zu erholen», findet Adrian Förster, Geschäftsführer von Save the Children Schweiz.

Wir begrüssen die Bereitschaft der Schweiz, vereinzelt minderjährige Flüchtlinge aufzunehmen, doch das allein reicht nicht. «Die Schweiz als Depositarstaat der Genfer Konvention kann in der Bewältigung dieser humanitären Krise eine Vorbildrolle einnehmen und ganz im Geiste ihrer humanitären Tradition, insbesondere zum Schutz der Verletzlichsten, ihre Hilfe weiter ausbauen», meint Christoph von Toggenburg, CEO von World Vision Schweiz.

«Kinder, die ohne Sicherheit, ohne Bildung und ohne Zukunftsperspektive in Flüchtlingslagern aufwachsen, werden langfristig traumatisiert und in ihrer gesunden Entwicklung schwer beeinträchtigt. Das müssen wir unbedingt verhindern», betont Martin Bachofner Geschäftsführer der Stiftung Kinderdorf Pestalozzi.

«Der Brand in Moria war eine Katastrophe mit Ansage. Wenn wir eine Wiederholung dieser Situation verhindern wollen, braucht es jetzt langfristige Lösungen und Solidarität unter den europäischen Staaten», bekräftigt Alain Kappeler, Geschäftsführer von SOS-Kinderdorf Schweiz.

Daher wäre es jetzt der richtige Zeitpunkt, dass die Schweizer Regierung als Vorbild für andere europäische Staaten reagiert und ihre Hilfe in folgenden Bereichen anbietet und verstärkt:

Icon Familie

Familienzusammenführung Das Programm der Familienzusammenführung weiterführen und den traumatisierten Kindern aus Moria dabei oberste Priorität einräumen.

Icon Kind

Kinder vorläufig aufnehmen Kinder vorläufig aufnehmen, um die Familienzusammenführung in anderen europäischen Ländern förderlich behandeln zu können.

Icon Kind-halten

Kindern Sicherheit bieten Kinder und Jugendliche aufnehmen, die keine Perspektiven und keinen familiären Bezug zur Schweiz haben, damit sie in einem neuen Lebensraum in Sicherheit verlässliche Beziehungen und ihre soziale wie berufliche Zukunft aufbauen können.

Icon Informieren

Vor Ort helfen Hilfsorganisationen und die griechischen Behörden vor Ort logistisch und materiell unterstützen.

Vielen Dank, dass Sie sich im Namen der Schweiz für Kinder in Not einsetzen.

Mit freundlichen Grüssen

Christoph von Toggenburg, CEO World Vision Schweiz 
Alain Kappeler, Geschäftsführer SOS-Kinderdorf Schweiz
Martin Bachofner, Vorsitzender der Geschäftsleitung Stiftung Kinderdorf Pestalozzi
Adrian Förster, Geschäftsführer Save the Children Schweiz

Inzwischen hat Bundesrätin Karin Keller-Sutter geantwortet

Brand in Moria

Sehr geehrte Herren

Ich danke Ihnen bestens für Ihren offenen Brief vom 15. September 2020. Wie Sie sicher der Medienmitteilung vom 11. September 2020 entnommen haben, teilt der Bundesrat Ihre Besorgnis betreffend die Situation auf der griechischen Insel Lesbos und hat der griechischen
Regierung umgehend humanitäre Hilfe angeboten.

Es geht dabei vor allem darum, unverzüglich die Unterbringung, die Versorgung, die Gesundheit und den Schutz der betroffenen Migrantinnen und Migranten sicherzustellen. Diesbezüglich haben bereits zwei Flüge des Lufttransportdienstes des Bundes stattgefunden, mit welchen Hilfsgüter wie Schlafsäcke, Schlafmatten, Wasserkanister, Küchenutensilien und weiteres Hilfsmaterial nach Griechenland gebracht wurden. Zudem sind Spezialisten des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe (SKH) in Lesbos im Einsatz. Damit es auf die dringendsten Bedürfnisse der vom Brand betroffenen Menschen reagieren kann, hat das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) bis zu einer Million Franken für die humanitäre Hilfe bereitgestellt.

Gleichzeitig unterstützt die Schweiz zurzeit internationale Organisationen vor Ort sowie die griechischen Behörden aktiv in logistischer, materieller und personeller Hinsicht.

Besonders prekär ist die Situation nach dem Brand für 400 unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA). Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft hat die Koordination der Arbeiten für die sofortige Evakuierung und Aufnahme dieser Minderjährigen an die Hand genommen. Die Schweiz wurde von Deutschland angefragt, sich bei der Evakuierung zu beteiligen. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) hat eine Beteiligung mit der Aufnahme von rund 20 Kindern und Jugendlichen in Aussicht gestellt.

Sollte als Teil einer langfristigen Lösung der Situation in Griechenland ein europäisches Umverteilungsprogramm zustande kommen, ist das EJPD bereit, eine weitere Aufnahme von UMA zu prüfen. Schliesslich führt das Staatssekretariat für Migration (SEM) seine bisherige Praxis in Bezug auf UMA aus Griechenland weiter: Im Rahmen einer weit gefassten Auslegung der Dublin Ill-Verordnung können UMA aus Griechenland mit familiärem Bezug in die Schweiz einreisen. Seit Mitte Mai 2020 wurden auf diese Weise 52 Kinder und Jugendliche aus Griechenland aufgenommen. Falls das SEM zudem selber, beispielsweise von Angehörigen in der Schweiz, über den Aufenthalt einer unbegleiteten minderjährigen Person in Griechenland erfährt, informiert es die zuständigen griechischen Behörden darüber, damit diese ein entsprechendes Gesuch stellen können. Wir sind der Überzeugung, dass wir so denjenigen Kindern und Jugendlichen eine Perspektive in der Schweiz geben können, die bereits einen Anknüpfungspunkt bei uns haben.

Ich bedanke mich nochmals für Ihr wertvolles Engagement für Kinder und Jugendliche und hoffe, diese Ausführungen sind Ihnen nützlich.

Mit besten Grüssen

Karin Keller-Sutter
Bundesrätin