Aufgrund der Corona-Pandemie sind derzeit tausende von Kindern und ihre Familien im Nordwesten Syriens gezwungen, in ihre vom Konflikt zerstörten Häuser zurückzukehren. In den vormals umkämpften Gebieten haben die Menschen jedoch weder Wasser noch Strom und es gibt kaum Schulen und Krankenhäuser. Anlässlich des Weltflüchtlingstags am 20. Juni fordert die Kinderrechtsorganisation Save the Children einen uneingeschränkten Zugang für humanitäre Helfer zu den Menschen in der Region.

Kinder in den Trümmern ihres Hauses in Idlib, SyrienKinder in den Trümmern ihres Hauses in Idlib, Syrien.

Seit dem Waffenstillstand vom 5. März dieses Jahres sind in Nordwestsyrien mehr als 200.000 Menschen – die Hälfte davon Kinder – aus überfüllten Flüchtlingslagern in andere Lager für Vertriebene oder in ihre vom Konflikt zerstörten Häuser geflohen. Familien berichten von der schweren Entscheidung, entweder in den beengten Camps zu bleiben, die nicht für einen Ausbruch von COVID-19 gewappnet sind, oder in ihre zerstörten Häuser in der Nähe der Kampfhandlungen zurückzukehren. In den vergangenen Wochen zwang eine neue Welle von Gewalt im Süden der Provinz Idlib hunderte Familien, ihre wenigen Habseligkeiten zusammenzupacken und ihre Unterkünfte ein weiteres Mal zu verlassen.

„Die Notlage dieser Kinder und ihrer Familien ist herzzerreissend. Sie flohen vor heftigen Kämpfen, leben unter unvorstellbaren Bedingungen und sind nun gezwungen, vor der Bedrohung durch ein tödliches Virus zu fliehen. Sie können nirgendwo hingehen, ausser in die Trümmer ihrer Häuser. Grundlegende Dienstleistungen sind fast nicht vorhanden, es gibt kaum Arbeit und die Ersparnisse verlieren täglich an Wert. Nun, da erneut Gewalt droht, sind viele auf der Suche nach Sicherheit auf der Strasse gelandet. Das ist unmenschlich. Ein Ausbruch von COVID-19 in Nordwestsyrien hätte unvorstellbare Folgen“, sagt Sonia Khush, Landesdirektorin von Save the Children in Syrien.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass humanitäre Helfer Zugang zu gefährdeten Kindern und Familien haben. Die Grenzübergänge dienen als Lebensader für mehr als vier Millionen Zivilisten innerhalb Syriens, darunter zwei Millionen Kinder, von denen die Mehrheit keine lebenswichtige Hilfe auf anderem Wege erhalten kann.

Sonia Khush Landesdirektorin von Save the Children in Syrien

Ayman*, 56, und seine Familie lebten nach der Flucht aus ihrem Dorf in Idlib in einem Vertriebenenlager. „Aber wegen des Coronavirus konnten wir unser Zelt nicht verlassen und waren die ganze Zeit isoliert. Deshalb hielten wir es für besser, in unsere Heimat zurückzukehren und uns hier zu isolieren“, berichtet er Save the Children. Familien wie diese haben in ihren zerstörten Häusern kein fliessendes Wasser oder Strom. Ihre Kinder haben keinen Zugang zu Bildung oder Gesundheitsversorgung, da viele Schulen und Krankenhäuser zerstört wurden und der Mangel an Elektrizität oder Internet sie von Fernlernmöglichkeiten ausschliesst.

Waleed*, 50, musste während der Eskalation der Gewalt mit seiner achtköpfigen Familie aus der Stadt Idlib fliehen. Sie teilten sich eine Drei-Zimmer-Wohnung mit vier anderen Familien. Als wegen des Coronavirus die Isolationsmassnahmen begannen, hielten sie es nicht mehr dort aus. „Die Enge war unerträglich. Während des Waffenstillstands war ich also gezwungen, mit meinen Kindern, die noch sehr jung sind, nach Hause zurückzukehren. Wir haben aufgeräumt und leben jetzt in einem Zimmer. Das Haus ist von oben zerstört und von zwei Seiten her stark beschädigt.“

Waleed, 50, war gezwungen, mit seinen Kindern, die noch sehr jung sind, nach Hause zurückkehren

Viele Familien befinden sich aufgrund der wirtschaftlichen Instabilität und der raschen Abwertung der Währung nun in einer noch grösseren Notlage. Da der Wert der syrischen Lira ein Rekordtief erreicht hat, steigen die Lebensmittelpreise enorm an. Der Preis für Brot hat sich innerhalb einer Woche verdoppelt. Auch andere wichtige Dinge sind für viele Familien unbezahlbar geworden.

Save the Children und seine Partner arbeiten in ganz Nordwestsyrien daran, die Risiken von COVID-19 für Kinder und ihre Familien zu mindern, darunter körperliche und emotionale Misshandlung, soziale Ausgrenzung, psychische Auswirkungen und psychosoziales Leid sowie geschlechtsspezifische Gewalt oder Risiken für unbegleitete und getrennte Kinder.

*Name zum Schutz der Identität geändert