In einem offenen Brief an den Bundesrat machen Schweizer Kinderhilfswerke, darunter auch World Vision Schweiz, auf das Ungleichgewicht zwischen sinkenden Geldern für Kinderschutz und die steigende Anzahl an hilfsbedürftigen Kindern aufmerksam.

Die Koalition der Kinderhilfsorganisationen fordert den Bund auf, die Mittel für Kinder in humanitären Krisen aufzustocken.

 

Schweiz, 20. Januar 2022

Mittel für den Schutz von Kindern in Krisen stehen in keinem Verhältnis zu dem rasant steigenden Bedarf

Sehr geehrter Herr Bundesrat Cassis

In vielen humanitären Situationen fehlt es Tausenden von Familien und Kindern an den grundlegenden Diensten, um ihren Schutz zu gewährleisten. Fehlender Zugang zu Bildung, wirtschaftliche Not, Unsicherheit und auseinandergerissene Familien setzen Kinder körperlicher und sexueller Gewalt sowie emotionaler Not aus.

Die Mittel für den Schutz von Kindern in den schlimmsten Krisen der Welt sind von 42% des erforderlichen Betrags im Jahr 2019 auf 24% im Jahr 2020 gesunken. Dies bedeutet, dass Millionen von Kindern, die von Konflikten und Katastrophen betroffen sind, keinen Zugang zu den Diensten haben, die sie vor Schaden bewahren können.

Diese und weitere Fakten werden in der Studie (s. Beilage) «THE UNPROTECTED: Annual spotlight on child protection funding in humanitarian action»1, festgehalten, die sich mit den globalen humanitären Mitteln für den Kinderschutz befasst. Zwar wurden die Mittel für den Kinderschutz in den letzten drei Jahren auf rund USD 178 Mio. im Jahr 2020 aufgestockt, jedoch halten diese zusätzlichen Mittel nicht mit dem massiven Anstieg der Zahl der bedürftigen Kinder Schritt. Zudem machen die für Kinderschutz zur Verfügung gestellten Gelder nur gerade 0.8% der gesamten Mittel für humanitäre Massnahmen aus. Eine Zahl, die uns als Kinderschutzorganisationen sehr betroffen macht.

Weltweit haben Langzeitkonflikte, COVID-19 und der Klimawandel zu einem sprunghaften Anstieg des Bedarfs geführt. Keine der humanitären Massnahmen im Jahr 2020 erhielt alle für den Kinderschutz erforderlichen Mittel, die Hälfte der Massnahmen nicht einmal einen Viertel davon.

Adrian Förster, CEO Save the Children Schweiz appelliert: «Dieser Bericht ist ein rechtzeitiger Weckruf an die politischen Entscheidungsträger, unverzüglich Massnahmen zu ergreifen, um Verletzungen der Kinderrechte zu verhindern und auf den dringenden Bedarf an Schutz zu reagieren, einschliesslich psychischer Gesundheit und psychosozialer Unterstützung, Familiensuche und -zusammenführung, Erholung und Wiedereingliederung.»

Die unterzeichnenden humanitären Organisationen, ein Zusammenschluss führender Schweizer Kinderhilfswerke bestehend aus SOS-Kinderdorf Schweiz, World Vision Schweiz, Plan international Schweiz, Terre des hommes Lausanne und Save the Children Schweiz, bieten in Notsituationen – einschliesslich Konflikten und Naturkatastrophen – Kinderschutzdienste an. Wir appellieren an die Schweizer Regierung, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um diesen Kindern den Schutz und die Betreuung zukommen zu lassen, die ihnen gemäss der UNO-Kinderrechtskonvention auch zustehen.

Aus diesem Grund fragen wir Sie, geschätzter Herr Bundesrat Cassis: Wie viele Mittel für humanitäre Hilfe gibt es vom Bund für den Kinderschutz? Betrachtet man die Sustainable Development Goals (SDG), für die sich die unterzeichnenden Organisationen täglich einsetzen und denen sich auch die Schweizer Regierung verpflichtet hat, wird klar, dass die am meisten benachteiligten Kinder weltweit von der Mehrheit dieser Ziele direkt oder indirekt betroffen sind.

Es ist unbestritten, dass Investitionen in Kinder und ihren Schutz eine kluge und nachhaltige Investition sind. Wenn Kinderhilfswerke und andere Akteure des Kinderschutzes über ausreichende und verlässliche Ressourcen verfügen, retten sie Leben: Von der psychosozialen Unterstützung für Gewaltopfer über die Wiedervereinigung getrennter Familien bis hin zur Verhinderung von Früh- und Zwangsverheiratung von Kindern – Kinderschutz sichert eine bessere Zukunft für alle. Die führenden Politikerinnen und Politiker der Welt müssen ihre Massnahmen und Finanzmittel für den Schutz von Kindern in humanitären Krisen verstärken.

Die Koalition der Kinder-Hilfsorganisationen fordert den Bund auf, die Mittel für Kinder in humanitären Krisen aufzustocken, um den prozentualen Anteil der Mittel an der Gesamtreaktion zu erreichen. Weiter ist es unabdingbar, dass der Bundesrat andere Staaten, Partner und Stakeholder mobilisiert, um Themen rund um die Kinderrechte zu respektieren und als Priorität in ihre Agenden aufzunehmen, einschliesslich deren Finanzierung.

Vielen Dank, dass Sie sich im Namen der Schweiz für Kinder in Not einsetzen.
Freundliche Grüsse,

Javed Rashid, CEO Plan International Schweiz
Adrian Förster, CEO Save The Children Schweiz
Alain Kappeler, CEO SOS Kinderdorf Schweiz
Barbara Hintermann, CEO Terre des Hommes Lausanne
Christoph von Toggenburg, CEO World Vision Schweiz

1 Die Studie wurde von Save the Children erstellt im Auftrag der Alliance for Child Protection in Humanitarian Action, der Global Child Protection Area of Responsibility und des UNHCR https://bit.ly/theunprotected