Jedes dritte Kind ist obdachlos In der Türkei verloren rund 2.4 Millionen Menschen – darunter 660'000 Kinder – ihr Zuhause. Bis heute konnten mehr als 761'000 von ihnen noch nicht in ihre Heimat zurückkehren.
In weniger als zwei Minuten richtete das Erdbeben im letzten Februar in der Türkei und in Syrien Schäden mit jahrzehntelangen Folgen an. Wie ist die Situation ein Jahr nach der Katastrophe? Dieser Frage ist Melina Stavrinos, Kommunikationsverantwortliche bei Save the Children Schweiz, bei einem Besuch in der Türkei nachgegangen.
Nichts ist, wie es mal war
«Hier war der Marktplatz», sagt Mehmet Ali und zeigt auf einen staubigen Haufen Schutt. Er ist zum ersten Mal seit dem Erdbeben hier in der Innenstadt, oder besser gesagt dem, was vom einst belebten und multikulturellen Antakya übrig ist. Er ist seit drei Jahren im Kinderschutz bei Save the Children in der Region Hatay tätig und hat selbst sein Zuhause in der regnerischen Nacht des 6. Februar 2023 verloren.
In den ersten zwei Monaten nach dem Erdbeben hat das Team zusammen mit einigen Überlebenden im Büro von Save the Children Unterschlupf gefunden, das dank seiner stabilen Container-Struktur dem Erdbeben standhielt. Bereits wenige Stunden nach dem Unglück verteilten die Mitarbeitenden Essen, das sie über dem offenen Feuer in einem Park kochten. Kurz darauf begann die Verteilung von Matratzen und Decken, Wasser und Hygiene-Paketen, die sie in umliegenden Orten einkauften und in einem nahegelegenen Bauernhof lagern konnten.
Seitdem ist das ursprünglich sechsköpfige Team in der Türkei auf rund 200 Mitarbeitende gewachsen. Heute schläft niemand mehr im Büro, viele der Mitarbeitenden wohnen in einem der wenigen Hotels, das den Erdbeben dank einstöckigem Bungalow-Bau standhielt. Ihnen ist es wohl hier, die Rückkehr in ein mehrstöckiges Haus ist für Teammitglieder, die die Beben selbst erlebt haben, keine Option. Zu gross ist die Angst vor einem weiteren Unglück, zu tief sitzt das Trauma des Erlebten.
Ein sicherer Ort in der Not
Wir starten unseren Projektbesuch in einem der rund 250 Container-Siedlungen der Region. Was auffällt: Im Gegensatz zu den meisten anderen temporären Notunterkünften sind die Container hier farbig. Eine Spende aus Katar, das nach der Fussballweltmeisterschaft 2022 keine Verwendung mehr dafür hatte.
Heute findet im Raum von Save the Children ein Treffen für Frauen zum Thema Hygiene in der Container-Siedlung statt. Während einer Stunde können sich die Frauen in einem sicheren Rahmen über ihre Anliegen austauschen und erhalten Tipps von den Expertinnen von Save the Children. Die Frauen sprechen über mögliche Hauterkrankungen, die nach einer Notlage wie dieser auftreten können. Nebenan spielen Kinder zusammen mit Osman, unserem Kinderschutzbeauftragten auf einem Kiesplatz, der bald zu einem kinderfreundlichen Ort werden soll.
Nahrung für die Seelen der Kinder
Der Wunsch nach Normalität
Aylin* (28), Ali* (26) und ihr Sohn Murat* (1) leben in einem kleinen Dorf, eine halbe Stunde vom Stadtzentrum entfernt. Durch das Erdbeben haben sie nicht nur ihre Wohnung, sondern auch ihre Arbeit im Supermarkt verloren. Nach Monaten ohne Einkommen konnten sie dank der Unterstützung von Familie und Freunden aufs Land ziehen. Save the Children hat mit Hygienepaketen und Bargeld geholfen, damit die junge Familie Medikamente, Kleider und Windeln für den kleinen Murat kaufen konnte. Aylin sagt: «Ich wünsche mir eine Rückkehr zur Normalität und eine Welt voller Frieden und Liebe, in der kein Kind stirbt und es keine Erdbeben gibt.»