In Somalia werden 98% aller Mädchen beschnitten. Save the Children führt in der autonomen Region Puntland ein integratives Projekt für den Schutz der Mädchen vor dieser grausamen, jahrhundertealten Tradition durch, das alle Bevölkerungsgruppen und relevanten Akteure involviert. Ein Blogbeitrag von Pia Lieberherr für Save the Children Schweiz.
BESCHNEIDUNG VON MÄDCHEN – GRAUSAME TRADITION
Bei der Mädchenbeschneidung handelt es sich um eine Tradition, die sich über Jahrtausende festgesetzt hat. Betroffene Mädchen und auch ihre Mütter leiden lebenslang unter den psychischen und physischen Folgen. Save the Children setzt in allen Gesellschaftsgruppen an, um das Bewusstsein für die schädlichen Folgen der Beschneidung zu stärken.
Unter Mädchenbeschneidung wird die Verstümmelung des weiblichen Geschlechtsorgans verstanden, wobei es verschiedene Formen gibt. Sie ist in den praktizierenden Gesellschaften eine Tradition. Begründet wird die Praxis mit der Reinheit und Jungfräulichkeit der Frau und der Kontrolle der weiblichen Sexualität. Zudem sehen Mütter es als Ehrensache und Absicherung für eine Hochzeit ihrer Töchter. Oft wird die Beschneidung auch mit der Religion begründet.
Die Beschneidung hat für Mädchen allerdings lebenslange Folgen: Dies reicht von starken Beschwerden beim Urinieren, während der Menstruation und beim Geschlechtsverkehr, bis hin zu Komplikationen bei der Geburt. Nicht zu vergessen sind die psychischen und emotionalen Folgen, die sie durch das einschneidende Erlebnis, das sie meist zwischen ihrem fünften und dreizehnten Lebensjahr erfahren, ihr gesamtes Leben lang spüren müssen.
GESAMTE GESELLSCHAFT INVOLVIEREN
Das Projekt in Puntland kann man sich als eine Art Kampagne gegen Mädchenbeschneidung vorstellen. Dabei werden alle Bevölkerungsgruppen und Akteure involviert, um das Umdenken gesamtgesellschaftlich zu verankern. Um dies zu erreichen arbeitet Save the Children mit lokalen Partnerorganisationen zusammen. Es war eindrücklich zu sehen, mit welcher Überzeugung und Herzblut unsere lokalen Partner die Programme umsetzen. Auch die Regierung wird stark involviert und unterstützt die Kampagne öffentlich.
Um die gesamte Gesellschaft zu involvieren, werden in Dörfern oft Diskussionsgruppen mit der gesamten Dorfgemeinschaft durchgeführt. In Yaka durften wir an einer solchen Diskussionsrunde teilnehmen. Die Gruppe setzte sich aus zehn Männern und 13 Frauen zusammen. Dabei waren ganz junge und ältere Menschen, ein religiöser Führer und auch eine ehemalige Beschneiderin, die sich heute ebenfalls gegen die Praxis ausspricht.
Die Arbeit mit den Gemeinschaften ist extrem wertvoll, da sie der Startpunkt für das Umdenken in der Gesellschaft ist. Dies braucht viel Aufwand und Zeit, da in einem ersten Schritt durch unzählige Gespräche und Workshops das Vertrauen aufgebaut werden muss, damit man mit der Gemeinschaft über das Thema sprechen kann, das ein absolutes Tabuthema ist.
Ich habe sieben Jahre lang als Beschneiderin gearbeitet und bis zu 40 Mädchen an einem Tag beschnitten.
Die fünfzigjährige Halwa Abdi sitzt heute in dieser Gruppe und spricht sich offen gegen Mädchenbeschneidung aus. Sie war sieben Jahre lang Beschneiderin und konnte auf unsere Frage hin, wie viele Mädchen sie beschnitten hatte, keine klare Antwort geben: bis zu 40 Mädchen am Tag über sieben Jahre.
Diese Aussage macht einem das Ausmass der Tradition bewusst und lässt einem erschaudern.
Halwa Abdi hat ihre Tätigkeit als Beschneiderin beendet, als die Kampagne in ihrem Dorf startete und sie genauere Hintergrundinformationen über die gesundheitlichen Risiken und Folgen erfuhr. Für sie war ihre Tätigkeit ihr Beruf – sie fing damit an, weil ihr Ehemann keine Arbeit hatte und verdiente somit das Geld um ihre Familie zu ernähren. Im Projekt von Save the Children wird in solchen Fällen – wann immer möglich – den Familien geholfen, eine andere Einkommensquelle zu schaffen, indem ihnen beispielsweise geholfen wird, einen eigenen Shop aufzubauen.