Die kollabierende libanesische Wirtschaft hat mehr als eine halbe Million Kinder in Beirut in einen Kampf ums Überleben gestürzt – dies zeigt eine neue Analyse von Save the Children. Ihre Familien können sich die zum Überleben notwendigen Grundnahrungsmittel, Elektrizität, Brennstoff zum Kochen, Hygiene und Wasser nicht leisten.
Im Grossraum Beirut haben 910.000 Menschen, darunter 564.000 Kinder, nicht genug Geld, um das Nötigste zu kaufen, einschliesslich ausreichender Nahrungsmittel. Unsere Kollegen vor Ort sagen, diese Zahlen seien wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs, da die Familien im ganzen Libanon mit den explodierenden Preisen für Lebensmittel, Miete und andere Notwendigkeiten zu kämpfen haben.
Diese Krise trifft alle - libanesische Familien, palästinensische und syrische Flüchtlinge - gleichermassen. Noch vor Ende des Jahres werden voraussichtlich Kinder an Hunger sterben.
Lama*, 27, ist eine schwangere syrische Mutter von drei Töchtern, die in einem Gemeinschaftsunterkunft im Südlibanon lebt. Ihr Mann verlor seine Arbeit wegen des Coronavirus-Ausbruchs. Sie erzählte: „Wenn wir etwas zu essen haben, essen wir. Wenn wir nichts zu essen haben, dann essen wir auch nichts. Es gibt Zeiten, in denen wir uns Geld leihen, nur um zu essen. Was können wir tun? Es gibt Tage, da weinen sich meine Töchter in den Schlaf. Manchmal vor Hunger, manchmal wegen des Coronavirus. Diese Krise hat sie tief getroffen.“
„Meine neunjährige Tochter fragt uns, ob sie anfangen könne, zu arbeiten – Taschentücher auf der Autobahn zu verkaufen. Ich konnte damit nicht umgehen und brach in Tränen aus. Meine Tochter will arbeiten, nur um einen Teil der Last mit uns zu tragen. Nur um uns zu helfen, damit ihre Geschwister nicht verhungern. Ich fürchte ein solches Schicksal für meine Töchter.“
Sarah, neun Jahre, sagte: „Wegen des Coronavirus arbeitet mein Vater nicht und wir essen nicht. Ich möchte arbeiten, damit ich meinen Eltern helfen und meine Schwestern ernähren kann. Meine Schwester weint die ganze Zeit, weil sie Milch will, und wir können sie ihr nicht kaufen, weil sie jetzt 10.000 LBP (ca. 6 Franken) kostet“.
Wirtschaftskrise trifft Familien hart
Der Libanon befindet sich in einer Wirtschaftskrise, die durch die COVID-19-Pandemie noch verschärft wird. Seit September letzten Jahres sind die Preise für grundlegende Güter wie Nahrungsmittel und Unterkünfte um 169 Prozent in die Höhe geschossen, während die Arbeitslosigkeit im formellen Sektor um 35 Prozent und im informellen Sektor um bis zu 45 Prozent gestiegen ist. Die Inflation hat die Kaufkraft der Familien, die um 85 Prozent gesunken ist, weiter verringert.
Kinder, auch solche aus libanesischen Familien mit mittlerem Einkommen, essen zunehmend einen ganzen Tag lang weniger oder gar nichts, nur um über die Runden zu kommen. In einigen Fällen arbeiten die Kinder, um das Familieneinkommen aufzubessern – und verpassen ihre Schulbildung.
Erst vergangenen Monat ergab eine Umfrage des Welternährungsprogramms, dass zwei Drittel der libanesischen Haushalte während der Covid-19-Krise Einkommensverluste hinnehmen mussten, so dass viele gezwungen waren, weniger für Lebensmittel auszugeben, sich zu verschulden oder ihre Ersparnisse aufzubrauchen. Eine von fünf libanesischen Familien und 33 Prozent der syrischen Familien verzichteten auf Mahlzeiten oder einen ganzen Tag lang auf Nahrung, und erschreckende 50 Prozent der Libanesen, 63 Prozent der Palästinenser und 75 Prozent der Syrer waren besorgt, dass sie nicht genug zu essen haben würden.
Sozialhilfepaket gefordert
Um den Familien bei der Bewältigung der Krise zu helfen, fordern wir die libanesische Regierung unverzüglich auf, ein transparent verteiltes und finanziell angemessenes Sozialhilfepaket für die am stärksten gefährdeten libanesischen Familien umzusetzen, um die minimalen Grundbedürfnisse zu decken und den Einkommensverlust aufgrund der COVID-19-Pandemie auszugleichen. Längerfristig sollte sie ein Sozialschutzsystem zur Bewältigung künftiger wirtschaftlicher Schocks für arme Bevölkerungsschichten einrichten und Versicherungs- und Rentensysteme einführen, die Arbeitnehmer abdecken, die selbständig sind oder in der informellen Wirtschaft arbeiten.