Haben Sie sich zum Beispiel schon einmal Gedanken darüber gemacht, inwiefern ein Asylzentrum kindersicher und kindgerecht eingerichtet ist? In unseren Projekten in der Schweiz stand die Arbeit auch während dem Lockdown im Frühling keineswegs still, wie das spannende Interview mit Nina Hössli, Leiterin Nationale Programme bei Save the Children Schweiz, aufzeigt.

Kinder beschäftigen sich mit Lernübungen in einem kinderfreundlichen Raum in einer Asylunterkunft.

Den Coronavirus-Aspekt haben wir auch inhaltlich in die Schulungen aufgenommen, indem wir Mitarbeitende bewusst auf Aktivitäten schulen, die mit Abstand oder im Freien durchgeführt werden können.

Nina Hössli | Leitung Nationale Programme | Save the Children Schweiz
Nina Hössli Leiterin Nationale Programme, Save the Children Schweiz

Eure Arbeit für Kinder in der Schweiz fokussiert sich auf die Rechte geflüchteter Kinder. Wie müssen wir uns das vorstellen?

Durch Kinderrechtsanalysen konnten spezifische Gruppen identifiziert werden, für die die Kinderrechte hier in der Schweiz noch zu wenig umgesetzt sind. Dazu gehören auch geflüchtete Kinder in Asylzentren. Basierend auf dieser Erkenntnis haben wir 2016 bis 2018 Pilotprojekte umgesetzt, in denen wir «kinderfreundliche Räume» in Asylzentren aufgebaut und betrieben haben. Diese sind den Bedürfnissen der Kinder in den Gemeinschaftsunterkünften angepasst, berücksichtigen die Förderung sprachlicher, kreativer und kognitiver Kompetenzen und bieten Kindern eine Struktur sowie feste Bezugspersonen im Alltag.

Auch dank dem erfolgreichen Pilotprojekt von Save the Children sind nun seit 2019 «kinderfreundliche Räume» in Bundesasylzentren vorgeschrieben. Wie könnt ihr eure Erfahrungen weiter nutzen?

Mit dem Pilotprojekt haben wir über 1000 geflüchtete Kinder und Jugendliche erreicht und möchten das natürlich unbedingt weiterziehen! Daher haben wir nach Abschluss der Pilotprojekte basierend auf unseren Erfahrungen ein Beratungsmodell entwickelt und begleiten nun Betreuungsorganisationen von Asylzentren, damit sie «kinderfreundliche Räume» und Angebote aufbauen und selbst umsetzen können. Indem wir mit den Organisationen zusammenarbeiten, erreichen wir noch mehr geflüchtete Kinder in der Schweiz.

Was macht dein Team aktuell konkret in den Asylzentren?

Einerseits bieten wir Analysen von Asylzentren im Hinblick auf Kindesschutzaspekte an. Dabei überprüfen wir das Zentrum z.B. auf Gefahren für Kinder, wie fehlende Geländer oder düstere Ecken. Daraus verfassen wir einen Bericht inklusive Empfehlungen und bieten Beratung für die Umsetzung kinderfreundlicher Massnahmen an. Andererseits beraten und begleiten wir die Zentren beim Aufbau «kinderfreundlicher Räume» und Programme.

Demnächst starten wir ein Pilotprojekt für Eltern, damit wir ihnen ebenfalls Unterstützung bieten und sie in ihrer Rolle im herausfordernden Umfeld einer Gemeinschaftsunterkunft stärken können.

Beeinflusst die Coronavirus-Pandemie diese Arbeit auch nach dem Lockdown?

Eine gewisse Unsicherheit besteht gerade bei den Beratungen vor Ort, da diese im Falle von bestätigten Corona-Fällen natürlich kurzfristig abgesagt werden müssten. Ansonsten haben wir ein Schutzkonzept entwickelt, das wir mit jedem Zentrum vorgängig besprechen und mit dem wir sicherstellen, dass wir die grundlegenden Sicherheitsempfehlungen einhalten. Den Coronavirus-Aspekt haben wir auch inhaltlich in die Schulungen aufgenommen, indem wir Mitarbeitende bewusst auf Aktivitäten schulen, die mit Abstand oder im Freien durchgeführt werden können.

Inwiefern involviert ihr geflüchtete Kinder und Jugendliche direkt in eure Arbeit?

Um eine generelle und nachhaltige Verbesserung der Lage geflüchteter Kinder in der Schweiz zu erzielen, arbeiten wir eng mit anderen Organisationen zusammen, wie zum Beispiel im Rahmen des partizipativen Kinderberichts. Dafür führen wir Workshops zum Thema Kinderrechte mit Kindern und Jugendlichen durch – so können wir auch für unsere Arbeit sicherstellen, dass unsere Angebote ihren Bedürfnissen entsprechen.

Workshops zum Thema Kinderrechte für geflüchtete Kinder und Jugendliche

2020 muss die Schweiz dem UNO-Kinderrechtsausschuss Auskunft über die Umsetzung der Kinderrechte in der Schweiz geben. Zu diesem Anlass wird von verschiedenen Kinderrechtsorganisationen zum ersten Mal auch ein eigener Bericht («Partizipativer Kinder- und Jugendbericht zu den Kinderrechten») mit den Meinungen von Kindern und Jugendlichen zu der Umsetzung der Kinderrechte in der Schweiz erstellt. Save the Children Schweiz sammelt dafür in Workshops in kantonalen Asylzentren und Wohnstrukturen für unbegleitete Minderjährige die Stimmen von in die Schweiz geflüchteten Kindern und Jugendlichen. Der Bericht wird nach Fertigstellung dem UNO-Kinderrechtsausschuss und der Schweizer Politik präsentiert.

SCHWEIZ: Angebote für geflüchtete Kinder – auch in der Corona-Krise

Ein Schwerpunkt unserer Programmarbeit in der Schweiz ist die Unterstützung geflüchteter Kinder. Wir setzen uns dafür ein, dass Asylzentren kindgerecht sind, und beraten Betreiberorganisationen beim Aufbau kinderfreundlicher Räume und eines Angebots an Spiel- und Lernaktivitäten für Kinder und Jugendliche.

Dieses Jahr stellte der Lockdown unser Team vor unerwartete Herausforderungen, auf die wir innovativ reagierten. Da wir zwischenzeitlich keinen Zugang zu den Zentren mehr hatten, haben wir Lern- und Spiel-Sets kreiert. Wie bereits im letzten Magazin berichtet, wurden diese von den Zentrumsbetreibern und Eltern sehr geschätzt! Diese wichtige Arbeit für Kinder ist nur dank Ihrer wertvollen Unterstützung möglich!

Icon Dokument

100 Asylunterkünfte in 19 Kantonen erhielten unsere Lern- und Spiel-Sets

Icon Haus

60 Asylunterkünfte erhielten zudem Bastelmaterialien

Icon Gruppe-Kinder

1400 Kinder haben wir damit erreicht

Unsere Familien verbringen sehr viel Zeit im und ums Haus. Somit und vor allem während der Zeit der Ausgangssperre und des Besuchsverbots waren die Lern-Sets eine wertvolle und geliebte Beschäftigungsmöglichkeit.

Mitarbeiterin kantonales Asylzentrum

Impressionen aus unserem Pilotprojekt «kinderfreundlicher Raum»

Erzählungen einer Kinderbetreuerin:

Das syrische Mädchen Razan (10) und ihre zwei Geschwister kamen drei Monate lang täglich in den kinderfreundlichen Raum in Bern. Razan lernte schnell deutsche Wörter, die Rituale im Kreis und die Lieder auswendig. Neuen Kindern zeigte sie stolz den Raum und integrierte sie bei Spielen und Bastelarbeiten. Wir konnten zusehen, wie dieses schüchterne Mädchen förmlich aufblühte und die Sicherheit und Fürsorge in sich aufsog.

Am Tag ihrer Abreise überreichte mir Razan ein selbstgemachtes Geschenk. Sie dankte uns damit für alles, was sie bei uns in den letzten Monaten erleben und lernen durfte – wie zum Beispiel das Falten einer Schachtel.

Die Kinder brauchen nicht nur Lehrpersonen, sondern auch Eltern, welche sie unterstützen. Wir hatten wegen dem Krieg nicht die Gelegenheit dazu. Jetzt, wo wir in einem Land sind, wo kein Krieg herrscht, werde ich mehr Zeit in die Kinder investieren. Danke für eure Geduld und Zeit.

Vater von Razan

Bitte helfen Sie den Kindern!