Kinderrechte können nicht warten. Rahel Wartenweiler und Rahel Zimmermann vom Netzwerk Kinderrechte Schweiz erklären uns im Interview warum.

Rahel Wartenweiler und Rahel Zimmermann, ihr seid Co-Geschäftsleiterinnen des Netzwerks Kinderrechte Schweiz (NKS). In dem Verein sind verschiedene Organisationen, die sich für die Anerkennung und Umsetzung der Kinderrechte in der Schweiz einsetzen. Weshalb braucht es ein solches Netzwerk?

Die Schweiz ist der UN-Kinderrechtskonvention im Jahr 1997 beigetreten. Mit der Ratifikation alleine sind die Kinderrechte aber noch nicht umgesetzt. Vielmehr braucht es Gesetze, Programme oder Projekte, damit die Rechte Wirkung entfalten können. Das Netzwerk setzt sich entsprechend dafür ein, dass die Kinderrechte bekannt sind und umgesetzt werden. Eine unserer Hauptaufgaben ist es, Berichte über die Situation der Kinderrechte in der Schweiz an den UN-Kinderrechtsausschuss zu koordinieren und die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Organisationen, die im Bereich Kinderrechte tätig sind, zu fördern.

Welche Möglichkeiten haben NGOs, um sich für die Umsetzung der Kinderrechte auch auf politischer und struktureller Ebene einzusetzen?

Kind mit Notnahrung
Eine Möglichkeit ist die zivilgesellschaftliche Berichterstattung an den UN-Kinderrechtsausschuss. Dieser überprüft regelmässig, wie die Kinderrechte in den jeweiligen Vertragsstaaten umgesetzt sind. Er stützt sich dabei zum einen auf einen Bericht des Bundes. Aber auch die NGOs, koordiniert durch das NKS, können einen Bericht zum Stand der Umsetzung der Kinderrechte beim UN-Ausschuss einreichen. Das ist wichtig, weil damit Erfahrungen aus der direkten Arbeit mit Kindern und Jugendlichen und auch kritische Beobachtungen in das Verfahren einfliessen. Auf Grundlage dieser Informationen formuliert der UN-Ausschuss Empfehlungen an die Schweiz. Neben dieser internationalen Ebene können sich NGOs auch auf nationaler und kantonaler Ebene für die Umsetzung der Kinderrechte engagieren, zum Beispiel indem sie an Vernehmlassungen teilnehmen, Empfehlungen an Bund und Kantone formulieren oder in Expert:innengruppen mitarbeiten.

Was sind die grossen Lücken hinsichtlich der Umsetzung der Kinderrechte in der Schweiz, die wir in den nächsten Jahren dringend angehen müssen?

Im Bereich der Kinderrechte gibt es in der Schweiz nach wie vor viel zu tun. Zum einen müssen die Rahmenbedingungen zur Umsetzung der Kinderrechte verbessert werden: Es braucht bessere Daten zur Lebenslage von Kindern, eine unabhängige Ombudsstelle für Kinder und eine stärkere Beteiligung der Kinder in allen Belangen. Zudem stellt der Föderalismus in vielen Bereichen, eine Herausforderung dar. Es darf nicht sein, dass es vom Wohnkanton abhängt, in welchem Umfang sie ihre Rechte wahrnehmen können. Kurzgefasst: Die Kinderrechte dürfen nicht dem Kantönligeist zum Opfer fallen. Das NKS fordert darum eine nationale Kinderrechtspolitik und -strategie mit klaren Vorgaben für die Kantone.

Zum anderen besteht dringender Handlungsbedarf in einzelnen Themenfeldern. Kinder müssen umfassend vor Gewalt geschützt werden, die Rechte von Kindern mit Behinderungen, ausserfamiliär untergebrachter Kinder und geflüchteter Kinder müssen gewährleistet werden. Und auch die Kinderarmut muss bekämpft werden.

Im Bereich der Kinderrechte gibt es in der Schweiz nach wie vor viel zu tun

Rahel Wartenweiler Netzwerk Kinderrechte Schweiz

Es gibt nicht nur einen Bericht von NGOs zum aktuellen Stand der Kinderrechte in der Schweiz. Seit 2020 gibt es auch einen partizipativen Bericht, an dem Kinder und Jugendliche direkt mitwirken und ihre Sicht auf die Schweiz vorstellen. Weshalb braucht es diesen zweiten Bericht?

Ein zentrales Kinderrecht ist das Recht auf Partizipation, insbesondere wenn es um Anliegen geht, die die Kinder direkt betreffen. Aus diesem Grund will das Netzwerk Kinder und Jugendliche in der Berichterstattung an den UN-Kinderrechtsausschuss miteinbeziehen. Im letzten Verfahren haben wir einen ersten Partizipationsprozess lanciert, dazu einen Kinder- und Jugendbericht verfasst und diesen beim Kinderrechtsausschuss eingereicht.

Für das nächste Berichtserstattungsverfahren knüpfen wir an die Erfahrungen aus dem Pilotprojekt an und legen in besonderes Augenmerk auf Gruppen von Kindern in benachteiligenden Lebenssituationen. In erster Linie sind dies geflüchtete Kinder, ausserfamiliär untergebrachte Kinder, Kinder mit einer Behinderung sowie armutsbetroffene Kinder.

Kindgerecht – was bedeutet das für euch?

 Ein an den Förder- Schutz- und Beteiligungsrechten des Kindes ausgerichtetes Denken und Handeln, das ihr Alter und ihre Reife berücksichtigt und sie zur Teilhabe befähigt.